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Sind Radfahrer die langweiligeren Leute?

HEINZ EKKER, 19. 7. '09, 01:00

Man stelle sich folgende hypothetische Party vor, wo man grad rumsteht und den Raum nach interessanten Gesprächspartnern sondiert. Original auf kurier.at

Soll ja mal vorkommen. Man entdeckt 3 freistehende Personen: Einen Löwendompteur, einen Gehirnchirurgen und einen Radfahrer. Der erfahrene Gast kann sich jetzt gut vorstellen, wie sich die Plauderei entfaltet: Der eine berichtet vom heroischen Kampf Mensch gegen Tier unter akuter Lebensgefahr, Geschichten vom Sieg der überlegenen Intelligenz über den brutalen Instinkt mit ein paar Zwischenstationen mit grausigsten Wunden und kann wahrscheinlich sogar sensationelle Narben herzeigen. Der Zweite hingegen rettet in stundenlanger Präzisionsarbeit Leben, und sollten die Geschichten über spektakuläre Neuronenflickoperationen jemals ausgehen, kann er immer noch von den Krankenschwestern schwärmen. Der Radfahrer hingegen wird schnell langweilig. Entweder geht's darum, dass Radler sowieso die besseren Menschen sind, Gesundheit, Kohlendioxid und lebenswerter Lebensraum und so, oder warum er in dieser Saison nur 247. statt 189. beim Stattersdorfer Pimperlkriterium wurde, oder dass er jetzt endlich die passende Alu-Trinkflasche zum Originalvintage-Rennrad von 1967 auf einem Flohmarkt gefunden hat.
Ich versuche, eh immer das Beste draus zu machen: Meine chirurgischen Eingriffe retten armen, alten, vernachlässigten Rennrädern die Seele, Narben hätte ich auch genug zum Herzeigen, aber spätestens beim Thema 30er-Schnitt kann ich stundenlang referieren bis auch der letzte willige Zuhörer sanft entschlummert ist. Manchmal stehe ich dann herum und suche krampfhaft nach einem anderen Thema, aber wenn mir dann endlich was schlaues eingefallen ist zur Wirtschaftskrise, was einsichtsvolles zur Nahostkrise oder gar ein lustiges Scherzchen, sind eh schon wieder alle weg.

Man könnte jetzt sagen: Na gut, es fahren eh immer mehr Leute mit dem Radl, sollen sie halt miteinander reden, dann stören sie niemanden. Das Problem ist aber, dass sich Radler nicht einmal untereinander besonders mögen. Wird man vom Gastgeber enthusiastisch jemandem vorgestellt: "Er fährt auch viel mit dem Rad!", geht's mit dem Gespräch viel zu oft relativ schnell bergab: Mountainbiker und Rennradler, das ist ca. so wie wenn man Fidel Castro dem Batista vorstellt und dazu sagt: "Der macht auch viel mit Politik!". Nicht einmal bei reinen Mountainbiker-Paarungen ist man sicher: Zwischen Downhillern und Tourenfahrern führen Diskussionen über die ausreichende Federung oft zu Schreiduellen mit anschließenden Familienfehden über mehrere Generationen. Es gibt Rennradler mit 8000 Jahreskilometern, die nie im Leben die 2 km in die Arbeit mit dem Rad zurücklegen würden (Viel zu gefährlich!) und frühestens mitten am Donauradweg die Carbonmaschine aus dem Kofferraum des SUVs packen. Steck den mal mit einem überzeugten Öko-Gepäcksträgerkotflügelcitycruiser zusammen. Tragisch enden kann das sogar, wenn einer der Beteiligten Triathlet ist. Die sollte man von vornherein räumlich von echten Radfahrern separieren, sonst besser gleich Blutkonserven bereithalten.
Was aber tun? Ich denke mal, es kann nicht schaden, wenn man sich bei einem eventuell noch vorhandenen unfanatischen Bekannten Tipps & Tricks für Konversationsthemen holt und die dann gut einstudiert. Vielleicht sogar daheim vorm Spiegel oder während des Grundlagentrainings üben! Auf jeden Fall einmal langsam anfangen, und sein neuestes Lieblingsrad erst im zweiten, dritten, oder später gar vierten Satz erwähnen. Situationen vorher durchspielen: Erwähnt zum Beispiel jemand das Wetter, nicht sofort über den dadurch verursachten Trainingsrückstand loslamentieren oder gar beklagen, dass man voriges Jahr schon im September auf das viskosere Winterkettenöl umstellen hat müssen. Nur auf Aufforderung die Auswirkungen auf das Lieblingshobby erwähnen, und wenn, dann kurz fassen. Eine Viertelstunde Extemporation über die richtige Regenkleidung reicht, wenn man die Leute einmal besser kennt, geht dann eh auch mehr. Verwechselt am Nebentisch jemand Giro und Tour, ist es nicht OK, eine Flasche an der Tischkante abzubrechen und diese dem Übeltäter an den Hals zu halten, bis er sich entschuldigt. Eine sanfte Belehrung über die grundlegenden Unterschiede im Charakter der Streckenführung, zusammen mit der Aufzählung der Top-Ten-Finisher der letzten 45 Jahre sollte Strafe genug sein.
Mit ein wenig Selbstkontrolle und konsequentem Training sollten diese paar Richtlinien ausreichen, um aus einem fanatischen Radgeek einen sozial halbwegs präsentablen Menschen zu machen. Vorausgesetzt, man vergisst dann nicht, die Hose aus dem Socken zu ziehen!

Linktipp:
  • Kurier: der Radlergeschichten-Weblog


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